Mittwoch, 13. Dezember 2017

Was sagt die Ausbildung über das, was man kann?

Es gibt Momente im Leben, die lassen mich hoffen, dass mein Atlas und mein Dreher stabil genug sind, um das dauerhafte Kopfschütteln auszuhalten.
Beispiel heute:
Eine Freundin von mir studiert Erziehungswissenschaften an der Uni. Sie soll eine Hausarbeit zu einem Erziehungsthema schreiben und hat mich gefragt, ob mir was interessantes einfallen würde. Ich habe überlegt, was in meinen Familien die Dauerbrenner sind und hab ihr das Thema "Grenzen setzen" und als Literatur dazu Jesper Juul und Jan Uwe Rogge empfohlen. Die fand ich von dem, was ich so bislang gelesen habe mit am Besten und am Sinnvollsten.
Kommentar der Dozentin: Sie möge doch noch mal schauen, ob das wirklich eine pädagogische Ausbildung haben oder "nur" Therapeuten oder Berater sind, die halt Bücher schreiben...
Also schreibt bitte niemand eine Arbeit über Montessori oder Piaget.
Maria Montessori war Ärztin, Jean Piaget Entwicklungspsychologe und zu meiner Zeit im Studium waren das noch DIE Reformpädagogen, DIE Vorreiter einer neuen Haltung und einer neuen Pädagogik.
Jesper Juul hat Religion und Geschichte am Lehrerseminar studiert und eine fundierte familientherapeutische Ausbildung absolviert. Befähigt ihn das, etwas über Pädagogik und Erziehung zu schreiben? In meinen Augen ja.
Rogge studierte Kulturwissenschaften, politische Wissenschaften und Germanistik und forschte ganz viel in den Gebieten Familie, Kindheit und Medien. Auch hier die Frage: "nur" Berater, der ein Buch schreibt???
Ich habe mal überlegt, welche Fortbildungen und Bücher mich in den letzten Jahren in meiner pädagogischen Arbeit beeinflusst und weitergebracht haben.
Da waren Juul (den mag ich übrigens besonders, der hat am selben Tag wie ich Geburtstag ;-) ) und Rogge, Hüther (Hirnforscher), Brisch (Kinderpsychiater), Omer (klinischer Psychologe), DeShazer und Berg (Psychotherapeuten), ...

Grundsätzlich stellt sich die Frage, was Erziehung heißt. Da finden sich ja viele verschiedene Definitionen. Den meisten gemeinsam dürfte sein, dass es darum geht, Kinder dazu zu befähigen, eigenverantwortliche, soziale Erwachsene zu werden. Ich persönlich glaube nicht, dass das an einer einzigen Profession festzumachen ist. Das kann ein Psychologe, Therapeut, Berater, Sozialarbeiter, Lehrer, Arzt oder sonst was sein. Wenn die Haltung stimmt und das, was derjenige tut und sagt a) nachvollziehbar und b) hilfreich ist, finde ich, dass die ursprüngliche Ausbildung eher egal ist. Und schließlich hat Entwicklung, Reifung und Wachstum doch auch was mit Psychologie, mit Medizin, mit Lernen und sozialer Kompetenz zu tun. Kann man da wirklich das eine vom anderen getrennt betrachten? Gibt es eine Pädagogik ohne

Jean Paul sagte: "Über Erziehung schreiben heißt beinahe über alles auf einmal schreiben."
Das lassen wir doch einfach mal als Schlusswort gelten.


Donnerstag, 9. November 2017

What gives me the Blues...

November - Zeit für den alljährlichen Herbst-Blues.
Tief in meinem Inneren bin ich ja ein Bär. Ab September/Oktober zieht es mich langsam in meine Höhle und wenn es dann grau und nass und kalt und dunkel wird, dann möchte mich am Liebsten in meine Decke mummeln und bis März nicht mehr aufstehen...
Leider, leider ist die Umwelt allerdings eher bärenfeindlich und somit muss ich wohl auch weiterhin auf den Winterschlaf verzichten.

Wie bei vielen wirkt sich der fehlende Winterschlaf und die fehlende Sonne auch bei mir gerne mal ein bisschen auf die Laune aus. Ich bin mürrischer und empfindlicher, die Nerven sind dünner.
Zeit, mal darüber nachzudenken, was denn den Blues schlimmer und was ihn besser macht:

What gives me the Blues:
- fehlendes Sonnenlicht
- 10 kg zu viel auf der Waage
- Schokoladenmangel
- fehlender Winterschlaf
- Freunde, die keine mehr sind, aber ein Loch im Herzen hinterlassen haben
- Menschen, die mir das Gefühl geben, zu versagen, weil ich nicht bin wie sie
- Menschen, die mir das Gefühl geben, sich für mich zu schämen
- die Tatsache, dass ich Ordnung nicht kann
- Streit mit meinen Kindern wegen klitzekleinen Kleinigkeiten
- Menschen, die für ihre Belange kämpfen und dabei meine nicht respektieren
- zu viel Arbeit
- das Leid anderer und die partielle Unfähigkeit, mich dagegen abzugrenzen
- der momentane politische Wahnsinn in der Welt
- Menschen, die immer erst mal dagegen sein müssen
- falsche, unehrliche Menschen
- Idioten
- zu merken, dass es einem meiner Lieben nicht gut geht und nichts tun zu können
- nicht mehr selbst entscheiden zu können, dass ich keine Kinder mehr mag
- Angst vor der Zukunft
- ...

Zum Glück gibt es aber nicht nur die "blauen" Momente, sondern auch viele strahlend goldene, die dagegen halten:

What makes me happy:
- durch buntes Laub rascheln
- sonnige Herbsttage oder Pfützenhüpfen
- (heiße) Schokolade
- Freunde, die bleiben, egal was ist
- Menschen, die nicht die Nase über mich rümpfen und mich sein lassen können, wie ich bin
- Kuschelmomente
- Fotografieren
- Basteln
- Menschen, die helfen ohne zu fragen
- die Tatsache, dass ich den Hasen meines Herzens gefunden habe
- meine Familie
- schnurrende Katzen auf meinem Bauch
- mit meiner Ärmeldecke und den Katzen, einer Tasse Tee und einem Buch auf dem Sofa kuscheln
- spielen mit meinen Kindern
- Urlaub im Wohnwagen
- Erinnerung an den Sommer
- ausschlafen
- wenn Menschen zu mir sagen: "schön, dass wir uns getroffen haben"
- gute Gespräche
- Singen und Musik
- Lachen
- um Rat gefragt zu werden
- ...

Ich wünsche Euch allen mehr goldene als blaue Momente im Herbst. Passt auf Euch auf.

Sonntag, 6. August 2017

die alten Griechen wieder....

"Kein besseres Heilmittel gibt es im Leid als eines edlen Freundes Zuspruch." 

Das sagte schon der gute, alte Euripides, der irgendwann 400-500 Jahre vor Christus gelebt hat. Und er hatte Recht. 
Ich weiß aus eigener Erfahrung (und zwar auf beiden Seiten), dass man als Angehöriger eines erkrankten Menschen oft das Gefühl hat, nichts tun zu können. Der Betroffene selbst kann kämpfen - aber man selbst steht hilflos daneben und muss zusehen. Man kann nur mitgehen, wo man doch so gerne auch etwas abnehmen würde. 
Aber gerade das Mitgehen ist so unglaublich wichtig und hilfreich. 
Ich vergleiche meine Krebserkrankung oft mit einem Weg, der über ziemlich unwägbares Terrain führte. Ich stand vor einigen Abgründen - und wenn ich meinen Mann nicht gehabt hätte, der neben/vor/hinter mir stand und mir immer gesagt hat: "Ich bleibe, ich halte, ich bin da" - dann hätte ich das Ganze mit Sicherheit nicht so gut und so problemlos überstanden.

Man kann es ein bisschen vergleichen, wie wenn man mit seinem Kind auf dem Spielplatz ist. Irgendwann steht man dann vor der Seilbrücke, in die man als Erwachsener gar nicht wirklich hineinpasst und erzählt dem Kind, dass das sicher ist - und das Kind traut sich nicht. Aber manchmal schafft man es, dass man dem Kind vermittelt: "Ich bin da, ich halte Dich, ich pass auf Dich auf" und es so viel Vertrauen in einen hat, dass es sich traut, obwohl man ihm nicht direkt helfen kann. Man hilft ihm mental. Indem man da ist. Einfach nur da. 
Genauso, wie man es hält und tröstet, wenn es beim Rennen gefallen ist. Natürlich kann man ihm den Schmerz nicht wirklich nehmen - aber er ist so viel leichter zu ertragen, wenn da jemand ist, der einen in den Arm nimmt und pustet und einem das Gefühl gibt, nicht alleine zu sein.


Genauso ist es auch, wenn man groß ist. Natürlich kann niemand seinem Lieben die Schmerzen oder die Angst oder den Weg durch die Therapien oder auch den letzten Weg des Sterbens abnehmen. Aber wir können dafür sorgen, dass all diese Wege nicht alleine beschritten werden müssen. Dass wir als Angehörige und Freunde da sind und sagen: Ich bleibe, egal was kommt, an Deiner Seite und gehe Deinen Weg mit Dir. Du musst ihn nicht alleine gehen. Und wenn Du fällst, dann helfe ich Dir auf. Ich nehme Dich in den Arm und puste. 

Ich bin nach wie vor unendlich dankbar dafür, dass ich Menschen an meiner Seite hatte, die genau das getan habe. Und dass ich jeden Tag erleben darf, dass auch andere solche Menschen haben. Leider nicht jeder, aber doch ziemlich viele. Ich ziehe meinen Hut vor allen, die ihre Lieben in solch schwierigen Situationen nicht alleine lassen. Die mit ihnen lachen und weinen, sich fürchten und trotzdem da bleiben.
Macht weiter so. Und seid Euch bewusst, dass Ihr genau DAMIT so wahnsinnig viel helfen könnt.

Danke!

Freitag, 28. April 2017

ganz schön schlauer Kerl...

... der Herr Konfuzius.
Wenn man dem Internet trauen kann (klar, kann man doch, oder?) dann hat der nämlich mal gesagt:

"Fordere viel von dir selbst und erwarte wenig von anderen. So wird dir Ärger erspart bleiben."

Recht hat er, der Konfuzius. Allerdings scheint da in unserer Zeit bei vielen was durcheinander gekommen zu sein. Irgendwie hab ich das Gefühl, das "von sich fordern" ist out, dafür ist das "von anderen erwarten" unglaublich in.
Ich hab ja beruflich und privat unglaublich gerne mit Menschen zu tun. Und wenn ich die Begegnungen der letzten Zeit in meinem Kopf nochmal Revue passieren lasse, dann komme ich ziemlich häufig an den Punkt, dass Menschen genau wissen, was sie von wem erwarten können. 
Man kann vom Staat erwarten, dass er einen finanziert ohne dass er dafür etwas erwartet. 
Man kann erwarten, dass man einen Kindergartenplatz bis nachmittags um fünf bekommt, weil man einmal im Monat so lange arbeiten muss. 
Man kann erwarten, dass die Oma bereitwillig jederzeit die Kinder nimmt, damit man selbst in Ruhe einkaufen kann.
Man kann erwarten, dass jemand anders für einen einen Kuchen bäckt.
Man kann erwarten, dass die Krankenkasse/das Amt akzeptiert, dass ich die Regeln beuge oder breche, ohne mich rauszuwerfen (schließlich tun alle anderen das ja auch...)
Man kann erwarten, dass es kein Problem ist, wenn man Termine 10 Minuten vorher absagt, weil es kann ja schließlich mal was dazwischen kommen (Termine bei der Nail-Designerin zum Beispiel)
....
Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Man erwartet einfach. Egal was. Hauptsache von anderen.
All diesen Punkten ist nämlich eines gemeinsam: Man erwartet etwas von ANDEREN. Selbst ist man fein raus. Es sind nämlich automatisch auch die anderen Schuld, wenn etwas nicht so klappt, wie ich mir das vorstelle. Praktisch. Dagegen sind viele nicht mehr bereit, auch nur den kleinen Finger zu rühren und schmuggeln sich aus anstrengenden Situationen heraus, indem sie anderen die Verantwortung zuschieben.

Nur leider funktioniert das Leben so nicht. Zumindest meines nicht. (Vielleicht mache ich ja auch was falsch.)
Man kann nicht nur von anderen erwarten. Je mehr man nämlich von anderen erwartet, desto größer wird wahrscheinlich irgendwann mal die Enttäuschung sein.
Wenn ich zurück denke, dann basieren die großen Enttäuschungen in meinem Leben nicht darauf, dass andere gemein zu mir waren oder sich falsch verhalten haben. Nein, sie basieren darauf, dass ich zu viel erwartet habe.
Ich habe erwartet, dass andere Menschen irgendetwas tun. Oder ich habe erwartet, dass Menschen so denken und handeln, wie ich das tun würde. Aber andere Menschen sind nun mal andere Menschen. Die denken und handeln so, wie SIE es tun und tun auch nicht zwangsläufig das, was ich gerne hätte. Und das ist auch in Ordnung. Jetzt ist die Frage: Darf ich erwarten, dass sie lernen, so zu denken und handeln, wie ich mir das vorstelle. Oder muss ich lernen, zu ertragen, dass sie anders denken und handeln? Auch wenn das Konsequenzen nach sich zieht, die ich mir nicht wünsche? Dass ich selbst Schritte machen muss zum Beispiel. Oder dass sich Wege trennen. Oder dass ich meine Wünsche und Bedürfnisse klar äußern muss (obwohl ich doch eigentlich erwarten würde, dass mein Gegenüber weiß, was ich will und brauche).
Wenn man aus dieser Erwartungsschiene rauskommt wird das Leben vielleicht etwas anstrengender - aber insgesamt auch wesentlich selbstverantwortlicher. Weil ich nicht immer darauf warten muss, dass andere etwas tun.
Außerdem wird man selbst weniger verletzlich. Letztlich kann ich nämlich niemanden dazu zwingen, etwas zu tun. Wenn ich von jemandem einen Kuchen erwarte, und er macht keinen, dann werde ich enttäuscht sein, werde traurig oder wütend sein. Wenn ich jemanden ergebnisoffen frage, ob er mir einen Kuchen machen würde, ohne die Erwartung zu haben, dass er es tut, kann ich nur beschenkt aus der Situation gehen, wenn mir der Kuchen zugesagt wird. Aber ich habe nichts verloren und muss nicht traurig oder sauer sein, wenn mir die Bitte aus welchen Gründen auch immer abgeschlagen wird.
Und sind wir ehrlich: Wenn wir den Spieß umdrehen: Wenn man das Gefühl hat, etwas wird von einem erwartet, hat man doch schon überhaupt keine Lust mehr darauf, oder?

Kommen wir zurück zum unglaublich weisen Herrn aus China. Würden wir mehr von uns selbst als von anderen fordern und erwarten, würde uns mancher Ärger, viele Enttäuschungen, einiges an Zorn und Wut und sicherlich auch ein bisschen Traurigkeit erspart bleiben.
In diesem Sinne: Überlegt ganz genau, was ihr von wem erwarten könnt und wo ihr selbst gefragt seid.


Freitag, 14. April 2017

warum es ein ganzes Dorf braucht

Ein afrikanisches Sprichwort sagt: "Es braucht ein ganzes Dorf um ein Kind zu erziehen".
Ich stelle immer wieder fest, dass da schon sehr viel Wahres dran ist.

Gerade in der heutigen Zeit, wo es kaum mehr Großfamilien gibt, in denen mehrere Generationen quasi unter einem Dach - oder doch zumindest auf engem Raum - zusammenleben, fällt immer mehr auf, wie dringend man eigentlich als Mutter und Vater auf die Hilfe anderer angewiesen ist.

Wir sind in der glücklichen Lage, dass zwei Omas in unserer Nähe leben, die den Kindern auch sehr liebevoll verbunden sind. Wir haben Geschwister und Freunde, die alle auch mal nach den Kindern sehen können.
Wenn es für uns Eltern mal schwierig ist - sei es, weil wir arbeitstechnisch (zu) viel zu tun haben oder dass es einfach mal mit einem der Kinder hoch her geht (wer kennt das nicht, die Zeiten, wo es mit einem Kind einfach mal hakt, weil man sich nur noch reibt) - können wir es organisieren, dass wir Zeit für uns und die Kinder Zeit ohne uns bekommen. Das tut immer wieder mal gut und ist für beide Seiten wichtig.
Außerdem lernen unsere Kinder dadurch auch andere Werte und andere Sichtweisen kennen. Sie lernen, dass nicht in jeder Familie und bei jeder Bezugsperson die gleichen Regeln gelten - dass es aber trotzdem eigentlich immer irgendwelche Regeln und Grenzen gibt.
Sie lernen, mit verschiedenen Menschen umzugehen und sie haben die Gewissheit, dass sie von vielen Menschen geliebt werden.
All das ist unglaublich wertvoll und wichtig für ein Kind. Und für die Eltern.
Leider können mittlerweile viele nicht mehr auf diesen Rückhalt bauen. Viele Familien - oder noch schwieriger: Alleinerziehende - sind immer auf sich gestellt, haben immer die volle Verantwortung für ihre Kinder, können nichts an andere abgeben. Manche zerbrechen an diesem Druck, manche versuchen, ihn durch lange Buchungszeiten in Kindergärten und Krippen zu minimieren, wieder andere schaffen es, sich ganz alleine durchzubeißen.
Angenehmer ist es auf jeden Fall, wenn man die Möglichkeit und damit auch die Wahl hat.
Das ist die eine Seite des Dorfes.

Dann gibt es aber auch noch die andere Seite des Dorfes. Die Menschen rund um das Kind - und da gehören wir alle dazu - haben nämlich auch noch die Aufgabe, den Schutz des Kindes sicherzustellen. Und hier übernimmt das sprichwörtliche Dorf (im wahren Leben wir alle) eine ganz wichtige Aufgabe. Während nämlich erst mal alle Eltern für sich entscheiden, wie sie ihr  Kinder erziehen stoßen wir hier an die Grenze der Elternentscheidung und an die Verantwortung der Gesamtgesellschaft. Wenn es darum geht, dass Kinder verletzt, vernachlässigt oder misshandelt werden, dann dürfen wir nicht still sein. Wir dürfen uns nicht darauf zurück ziehen, dass es ja nicht unsere Kinder sind und die Eltern das entscheiden müssen. Wir müssen den Mut haben, uns schützend vor die Kinder zu stellen. Weil  die Kinder sich selbst nicht schützen können und darum auf uns als das Dorf angewiesen sind.
Wie wir das machen ist egal. Ob wir mit den Eltern persönlich sprechen, ob wir unsere Hilfe anbieten, ob wir das Jugendamt informieren, ob wir den Kindergarten oder die Großeltern ansprechen - alles egal. Hauptsache wir sehen nicht tatenlos zu, wie Kindern weh getan wird. Und Hauptsache, wir bleiben dran und beobachten, wie sich das Ganze weiterentwickelt. 

Denn eines müssen wir uns alle klar machen: Der Schutz von Kindern ist unser aller Aufgabe. Diese Verantwortung kann keiner von sich weisen.
Wir alle leben nämlich in dem Dorf. Darauf müssen sich die Kinder verlassen können.

Dienstag, 7. März 2017

Midlife-Crisis oder: Es tickt...

Ich geh ja nun schon auf die 40 zu. Mit relativ großen Schritten. Aufgrund der präsenilen Bettflucht (oder einfach eines verschobenen Schlaf-Wach-Rhythmusses) kann ich selten vor 23 Uhr schlafen. In der Zeit chatte ich dann oft mit vielen Menschen, die ich leider live nicht so oft sehen kann, weil sie ziemlich weit weg wohnen. Gestern war's meine Freundin in Hohenpeißenberg. Die hat den 40er ein paar Monate vor mir, also schon erledigt. Und irgendwie kamen wir auf das Thema "Midlife-Crisis". Da hab ich dann mal angefangen, zu überlegen...
Was ist denn die Midlife-Crisis eigentlich?
Für mich ist das, wenn man anfängt, komische Dinge zu tun, nur um "noch jung" oder "wieder jung" zu sein. "Midlife-Crisis" ist auch immer so ein bisschen negativ konnotiert. Wenn ich an Menschen in der Midlife-Crisis denke, verzieht sich mein Mund ganz automatisch zu einem leicht sarkastischen Grinsen. 
Die Menschen in der Midlife-Crisis benehmen sich immer ein bisschen seltsam, tun so, als wären sie etwas, das sie nicht (mehr) sind, wollen anders sein, als sie sind usw. Oft macht man sich damit ein bisschen lächerlich (finde ich zumindest). 
Männer in der Midlife-Crisis beginnen plötzlich damit, ins Fitnessstudio oder auf die Sonnenbank zu gehen, Frauen gehen ins Solarium oder ernähren sich plötzlich vegan. Man läuft den Jakobsweg, fährt Fahrrad oder Motorrad statt Auto oder macht VHS-Kurse, um sich selbst zu finden.
Von anderen wird man gerne mal dafür belächelt.
Ich?  Nein, ich bin/war natürlich nicht in der Midlife-Crisis. Das weise ich selbstverständlich weit von mir - so wie jeder andere auch. Hört sich ja auch ein bisschen nach Torschuss-Panik an. 
Aber insgeheim muss ich doch zugeben, dass auch ich manchmal das leise Ticken der Uhr höre. Ab und zu wird mir bewusst, dass in meinem Stundenglas oben nicht mehr so viel Sand ist wie ich vielleicht gerne hätte. Manchmal habe ich das Gefühl, Dinge "jetzt noch" anfangen zu müssen - oder sie vielleicht tatsächlich nie mehr zu erreichen. Das eine oder andere Mal trete ich in fiese Fallen, in die ich als Kind schon getreten bin. Ich sehne mich zum Beispiel wieder vermehrt danach, "dazu" zu gehören. Freunde zu haben. Und wenn ich nicht aufpasse, passiert es, dass ich mich für diese vermeintlichen Freundschaften zum Affen mache und Dinge mit mir machen lasse, die ich nicht mit mir machen lassen möchte. Zum Glück passe ich aber meistens auf. Und dann komme ich - auch wenns nicht immer leicht ist - aus der Schleife auch wieder raus.
Insgesamt glaube ich allerdings, dass ich vergleichsweise wenig Lebenskrise habe. 
Ich habe nicht das Bedürfnis, eine andere sein zu müssen. Ich bin so, wie ich bin und das bin ich meistens auch ganz gerne. Ich muss nichts hinterher-hecheln. Ich bin zufrieden mit dem, was ich in meinem Leben bislang so erreicht habe und wie es läuft. Und ich habe einen Partner, der mich sieht - und mag, was er sieht (zumindest meistens ;-) ) Ich glaube beinahe, dass das tatsächlich der wichtigste Grund ist, warum ich nicht kriseln muss. Ich werde gesehen - von meinem Mann, von meinen Freunden, von Menschen, die mir wichtig sind. Deshalb brauche ich auch keine tollen Autos oder schicke Nägel. Deshalb kann ich weiterhin ungeliftet und ungeschminkt herumlaufen und sehne mich nicht nach großen Reisen. Weil ich auch ohne diese Dinge bereits wahrgenommen werde.
Und dafür bin ich äußerst dankbar.

Mein Aufruf für heute ist daher: Gebt den Menschen, die Euch wichtig sind, das Gefühl, gesehen zu werden. Denn das ist tatsächlich ein Grundbedürfnis jedes Menschen: Wahrgenommen werden als das, was man ist. 
Und schon tickt die Uhr im Hintergrund ein bisschen leiser....




Donnerstag, 22. Dezember 2016

Das gute alte christliche Abendland

Momentan habe ich ja manchmal eher das Gefühl mit Abend hat das nichts mehr zu tun. Eher mit tiefschwarzer Nacht.
Wo sind denn bitteschön diese Werte, auf die wir uns alle berufen und die wir so unheimlich vor "den anderen" schützen müssen? Für die wir die Grenzen schließen müssen, weil wir "Gutmenschen" sonst von den "Asylschmarotzern""überrannt" werden.
Ganz schön viele Gänsefüßchen in einem Satz. Aber man kommt ja praktisch aus dem Gänsefüßeln nicht mehr raus. Geradezu übermächtig ist das Bedürfnis, das Leben und die Vorgänge in der Welt wieder in eine Ordnung zu bringen. Auch wenn es heißt, alles in Gedankenschubladen zu pressen. Schubladen wie "Islamisten", "Asylanten", "Gutmenschen", "Nazis", .... 
Leider ist das Leben selten so einfach. Jeder, der schon mal versucht hat, seinen Schrank nach Farben zu sortieren kommt spätestens beim ersten Karohemd oder beim Blockstreifenshirt unweigerlich an das Kernproblem: zu welcher Farbe gehört es denn nun? 
Warum glauben wir aber, das etwas, was schon bei T-Shirts nicht gelingt ausgerechnet bei Menschen funktioniert? 
Nehmen wir mal die Schublade "Asylant". Wie kann ich Menschen aus völlig verschiedenen kulturellen und geographischen Herkunftsbereichen in einen Sack packen? Bringt das wirklich Ordnung? Oder ist es viel mehr ein "Deckel drauf und nicht mehr sehen müssen"? 
Genau dieses "nicht mehr sehen wollen" widerspricht aber den christlichen Grundwerten. Denn wenn wir das Christentum ernst nehmen, dann fordert es uns ja gerade dazu auf: Zu sehen. Nicht die Augen zu verschließen vor dem Elend der Welt sondern zu sehen und zu helfen wo es uns möglich ist. Zu erkennen, was Richtig und was Falsch ist. Nicht nach dem ersten Schein zu urteilen, sondern dahinter zu sehen. 
Jeder kennt die Geschichte vom barmherzigen Samariter. Wir erinnern uns: Zwei gingen vorüber, darunter ein Priester, also einer, der es eigentlich besser wissen sollte. Und einer hilft. Einer, von dem man es eigentlich nicht erwartet hätte, der auch im Grunde keine Veranlassung hat, dem Menschen, der da liegt, zu helfen. Außer, dass da ein Mensch liegt, der Hilfe benötigt.
Jeder von uns hat jeden Tag die Wahl, wer in diesem Gleichnis er sein will. Priester, Levit oder Samariter?
Sind wir derjenige, der vorübergeht, wegsieht und sich einredet, aus diesen oder jenen Gründen nicht helfen zu können oder zu müssen oder sind wir der, der hilft, egal, wer da vor ihm liegt?
Ich höre jetzt schon wieder einige aufstöhnen, sehe sie förmlich die Augen verdrehen. "Wieder ein Gutmensch" denken sie und sortieren mich in die Schublade der realitätsfernen Pseudooptimisten. Genauso wie ich sie insgeheim in der Schublade "rechtsorientiert" ablege und kurz grüble, ob ich so jemanden wirklich kennen will und ob ich mich auf diese Diskussion wirklich einlassen soll oder nicht.
Denn bei dem ganzen Chaos in der Welt wünscht sich auch mein Hirn Ordnung. Auch wenn ich genau weiß, dass es nicht funktioniert. 
Aber ich will kein Schubladendenker sein. Genau aus diesem Grund nehme ich mir die Zeit und gehe eben schon in die Diskussion. 
Erstens, weil nicht jeder, der auf den "wir brauchen Obergrenzen"-Zug aufspringt tatsächlich etwas gegen Ausländer hat. Viele haben einfach nur Angst. Riesenangst. Vor der Veränderung, vor der Un-Ordnung, vor dem nicht-in-Schubladen-packen-.Können. Für Angst kann keiner was. Angst hat man eben, da wird man nicht gefragt. Gemeinerweise wird diese Angst momentan auch massiv gefördert. Von Parteien, von den Medien, von Menschen, die genau wissen, wie man diese Angst zu seinen eigenen Gunsten nutzen kann. Bei der Berichterstattung über den Vorfall auf dem Berliner Weihnachtsmarkt fiel von Anfang an immer und immer wieder das Wort "Anschlag". "Wir wissen noch nicht, ob es sich um einen Anschlag handelt..." "wir sagen nicht, dass es ein Anschlag war..."
Immer und immer wieder dieses Wort mit dem abschwächenden "nicht". Blöderweise funktioniert "nicht" aber bei unserem Gehirn nur sehr begrenzt. Denk mal nicht an einen rosa Elefanten.... Plopp - schon ist er da, der rosa Elefant und wird dann mühevoll vom Hirn durchgestrichen.  
Eigentlich ganz schön einfach, Menschen in eine gewünschte Richtung zu beeinflussen. Außer, man macht sich bewusst, wie  das funktioniert und denkt dann nochmal drüber nach, was gerade so passiert. Aber denken ist anstrengend. Man muss sich manchmal wirklich dazu zwingen, weil die Lösung, die einem da auf dem Silbertablett angeboten wird doch so viel einfacher ist - und ganz ohne Denken auskommt.
Zweitens diskutiere ich, weil die Erfahrung zeigt, dass Angst meist eine sehr irrationale Sache ist und in den allermeisten Fällen kleiner wird, wenn man darüber spricht und dabei sein Gehirn mit einbezieht und die Hormone somit ein bisschen abschwächt.
Last but not least darf man natürlich auch nicht vergessen, dass ich einfach gerne diskutiere...

So, weil das christliche Abendland ja viel mit Glauben zu tun hat (auch wenn erschreckend viele nicht mal mehr wissen, was wir an Weihnachten denn nun genau feiern...) erzähle ich Euch jetzt, was ich glaube:
  • Ich glaube, dass es nette und blöde Menschen gibt. Überall auf der Welt. Egal mit welcher Hautfarbe oder mit welchem Glauben sie durch die Welt laufen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es unter den ausländischen Mitmenschen (egal woher sie kommen) Arschlöcher gibt und welche, die kriminell sind und welche, die anderen nichts Gutes wollen ist ziemlich genau gleich groß wie die, dass es Deutsche gibt, die Arschlöcher sind, kriminell sind oder anderen nichts Gutes wollen.
  • Ich glaube, dass Menschen, die wir jetzt ausgrenzen und denen wir keine Chance geben, weil sie anders sind viel anfälliger sind für Radikalisierung. Menschen wollen dazugehören. Das ist evolutionär so angelegt. Man muss dazugehören um zu überleben. Nur gemeinsam sind wir Menschen stark und überlebensfähig. Wenn wir anderen das Gefühl geben, nicht dazugehören zu können, dann werden die sich mit viel größerer Wahrscheinlichkeit zu Verhaltensweisen hinreißen lassen, die wir nicht wollen als wenn sie erleben, dass ihnen geholfen wird und man ihnen offen entgegentritt.
  • Ich glaube, dass genau unser christlicher Hintergrund uns dazu auffordert, eben dieses zu tun - wer sagt "ich hab mit dem Christentum nichts am Hut" möge bitte aufhören, das christliche Abendland beschützen zu wollen.
  • Ich glaube, dass Angst ein schlechter Ratgeber ist. Angst ist gut, um uns vor übereilten Handlungen zu schützen. Danach muss aber das Hirn wieder eingeschaltet werden.
Und was das Wichtigste ist:
  • Ich glaube, dass jeder für sich selbst in der Hand hat, zu denken und zu handeln. Jeder hat die Möglichkeit, das Richtige zu tun. Dafür muss man nichts Großes vollbringen, das kann jeder in seinem Umfeld und seinem Rahmen. Wenn das nämlich jeder in seinem Kreis tut, wird der gesamte Kreis riesig - und dann funktioniert das mit der Toleranz und dem Frieden vielleicht doch noch.

Ich wünsche Euch allen ruhige, frohe, gesegnete, schöne, lustige und vor allem friedliche Weihnachtstage. Macht das Beste aus Eurem Leben, vielleicht gibt es nur dieses eine.



Sonntag, 20. November 2016

die Zeit ist irgendwie unberechenbar

Kennt Ihr das, dass manchmal die Zeit stehen bleibt. Oder rennt. Oder schleicht. Irgendwie verhält sie sich total unberechenbar.
Ich z. B. bin in meinem Kopf irgendwo zwischen 13 und 20 stehen geblieben. Auch mit 40 fühle ich mich innerlich irgendwie nicht anders als "damals".
Gestern ist mir das mal wieder sehr bewusst geworden.
Wir hatten nämlich 20jähriges Abiturtreffen. 
Immer wenn ich mir bewusst vor Augen führe, dass es ZWANZIG Jahre her ist, dass ich Abitur gemacht habe, DENKE ich, dass ich mich alt fühlen sollte. Sehr alt. Aber irgendwie kommt's im Hirn nicht an. 
Ich stand also gestern in "meiner" alten Schule, in der sich so vieles verändert hat, dass es schon gar nicht mehr wirklich "meine" Schule ist - und trotzdem fühlte es sich ein bisschen an wie daheim. Der Boden in der Eingangshalle ist noch der selbe wie damals. Einige der Gänge. Die Treppen, die Lichter... Zwar hängen andere Bilder, es gibt Durchgänge, die früher nicht da waren und Anbauten, die zu unserer Zeit noch nicht mal geplant waren. Es gibt Innenhöfe nicht mehr, die es damals gab und man muss zur Verdunkelung des Forums nicht mehr aufs bröckelige Flachdach klettern - und trotzdem flüstert es in allen Ecken "weißt Du noch?".

Ich war gerne in der Schule. Ich war gerne im Gymi. Ich hatte Höhen und Tiefen und Zeiten, in denen ich lieber in vielen Wahlfächern am Nachmittag war, als zu Hause. Ich habe während langer Theaterproben aufs Abi gelernt (oder auch manchmal eher nicht) und unzählige Stunden (also gut, man könnte sie zählen, aber ich habe keine Lust dazu) in diesen mehr oder weniger heiligen Hallen verbracht.

Und nächstes Jahr kommt für meinen Sohn der Übertritt an irgendeine Schule. Ich sollte also irgendwann zwischen damals und heute erwachsen geworden sein und da könnte man doch auch erwarten, dass man sich anders fühlt. Tu ich aber nicht. Ich fühle mich weder alt noch erwachsen noch sonst irgendwie. 

Ich glaube schon, dass ich mich entwickelt habe. 20 Jahre gehen an keinem wirklich spurlos vorüber. Aber ich glaube nicht, dass ich mich grundlegend verändert habe. 
Ich kann immer noch unglaublich albern sein, ich mache immer noch gerne PM-Rätsel, ich bin immer noch an meinem Husten überall zu erkennen, ich liebe es nach wie vor, mit Freunden die Nacht durch zu ratschen und wer will kann von mir immer noch zu fast jedem Thema meine Meinung haben. Ich bin nach wie vor spießig aber nicht mainstream.
Ich mag immer noch keine Menschen, die anderen nach dem Mund reden und so tun als wären sie etwas, das sie nicht sind. Noch immer verabscheue ich Unehrlichkeit, Schmarotzertum und Anbiederei. Ich kotze bei Sozialneid und Ausländerhass.

Tatsächlich hat sich also wohl nicht viel verändert.

Gestern hatte ich das Gefühl, dass das nicht nur bei mir so ist. Es waren ziemlich viele von unserem Jahrgang da. Die allermeisten habe ich sofort erkannt. Manche schon an ihrem Gang, ihrer Haltung oder ihrer Art zu sitzen. Bei manchen hatte ich das Gefühl, dass wir genau da weitermachen konnten, wo wir vor 20 Jahren aufgehört haben. Weil nicht nur ich mich nicht grundlegend verändert habe, sondern auch sie. 

Ich freue mich jetzt schon auf unser nächstes Klassentreffen. 
Nicht, weil ich zeigen muss, wer ich bin und wie toll ich bin sondern weil es einfach schön ist, Menschen zu treffen, die mich viele Jahre meines Lebens begleitet haben, mit denen ich Erfahrungen teile, die ich heute gar nicht mehr machen könnte und einen Abend zu verbringen, an dem ich ich sein darf - in einer Rolle, die es heute sonst für mich gar nicht mehr gibt. Nämlich als alter Schulkamerad. 

Leute, ich freu mich aufs nächste Mal. Vielleicht ja schon in 5 Jahren.
Danke für den tollen Abend und das Gefühl, in der Zeit zurück gereist zu sein. 
Danke für einen Abend voller Erinnerungen und aufgezogener Gedächtnis-Schubladen.
Danke für das Gefühl, noch immer ein Teil von etwas zu sein, was irgendwie auch nach Jahren noch Bestand hat.

Ich wünsche Euch, dass das Leben bis zum nächsten Treffen viele schöne Überraschungen für Euch bereit hält und Euch keine oder nur wenige Steine in den Weg legt.

Und vielleicht schaffe ich es ja, den einen oder anderen von Euch schon vor dem nächsten Klassentreffen wieder zu sehen. Mich würde es freuen.

Samstag, 1. Oktober 2016

Die Zeit rennt

Die Zeit rennt und rennt und rennt.
Jetzt sind es schon 3 Jahre.
3 stürmische Jahre voller Leben, Veränderung, Neuanfängen aber auch Enden.
Ich schreibe hier nur noch sehr selten, weil sonst in meinem Leben so viel los ist, dass die Krankheit, das Jahr im Kampf dagegen und dieser Blog oft völlig ins Hintertreffen geraten.
Und das ist gut so.
Nur manchmal gibt es Phasen, in denen ich wieder viel nachdenke über "damals" und über Krebs.
Natürlich kommt das besonders dann vor, wenn jemand an Krebs stirbt. Ich habe früher nicht so intensiv mit den Angehörigen gelitten wie jetzt. Weil ein Teil meines Kopfes sagt: "Stell Dir vor, wie sich Deine Kinder, Dein Mann jetzt fühlen würden" - und die Vorstellung macht mich immer noch weinen.
Dieses Jahr denke ich tatsächlich auch an ein "um diese Zeit vor 3 Jahren". Das hatte ich bisher noch nicht. Dieses Jahr ganz schlimm.
Vielleicht, weil ich das erste Jahr für Therapie und das zweite Jahr für Normalität und das Ankommen in der selbigen gebraucht habe.
Vielleicht auch, weil eine liebe Freundin aus der Krebszeit zur Zeit wieder gesundheitliche Probleme hat, die auch lebensbedrohlich sein könnten und mir das vor Augen führt, wie kostbar die Gesundheit ist und das Leben.
Vielleicht, weil mein Leben mittlerweile wieder so normal und lebendig und voll geworden ist, dass dieses Jahr der Krankheit im Nebel versinkt und langsam aber sicher beginnt, unwirklich zu werden. Natürlich erzählen die Narben auf dem Körper davon, aber wenn ich nicht an mir hinuntersehe, dann löst sich das Jahr in meinem Kopf in Rauch auf und entschwindet.
Mir fehlen bereits viele Momente aus diesem Jahr. Ich kann mich an einiges nicht erinnern. Ich könnte nicht sagen, wie Georgs Geburtstag oder Silvester 2013 waren, ich weiß nicht mehr, was ich an Sofies Geburtstag gemacht habe - alles im Nebel.
Aber besser es fehlt ein Jahr in meiner Erinnerung als es fehlen 50 Jahre Leben.

Heute hatte ich das Bedürfnis, mal wieder bewusst zu lesen, was ich "damals" geschrieben habe. Ich musste mir ein paar Tränchen verdrücken (na gut, ich hab sie mir nicht verdrückt, sondern ein bisschen geweint) und jetzt geht es mir besser.
Ich bin dankbar. Dankbar für so vieles:

  • dafür, dass ich wieder voll im Leben stehe
  • dafür, die Fotografie für mich gefunden zu haben (www.monsterlabel.de/click)
  • für eine neue Chance in einem neuen berufliche Bereich
  • dafür, in meinem "alten" Job wieder so gut angekommen zu sein und mich dort immer noch wohl zu fühlen
  • dafür, dass in meinem Tagebuch oft der Bereich mit den negativen Erlebnissen am Tag leer bleibt
  • für einen wunderschönen, lebendigen Sommer und einen traumhaften Herbst
  • für meine Kreativität, die sich immer mehr in gute Kanäle locken lässt
  • dafür, dass seit 3 Jahren alle Nachsorgeuntersuchungen ohne Befund sind
und ganz besonders und unendlich dankbar bin ich
  • für meine Familie, die mit mir durch alle Höhen und Tiefen gegangen ist ohne zu bröckeln
  • für meinen Mann, der mich immer noch anfassen kann und der mich nach wie vor liebt
  • für alle in meinem Umfeld, die geblieben sind, wo andere gegangen sind
  • für diejenigen, die ich überhaupt erst in dieser Zeit kennengelernt habe und die mir fehlen würden, wenn ich sie nicht hätte.
Ich schließe heute mit den Worten von Max Frisch:
"Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihm nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen."


Samstag, 7. Mai 2016

RIP

"Man sieht die Sonne langsam untergehen und erschrickt doch, wenn es plötzlich dunkel ist."

Dieser Spruch von Kafka beschreibt exakt, wie es mir gerade geht.

Eine Freundin von mir, die ich bei meiner ersten Chemo kennengelernt habe, ist letzte Woche gestorben.
Liebe Marion,
seit ich gehört habe, dass Du wieder Hirnmetastasen hast, dass Du in München zur Cyberknife-Behandlung bist und eine neue Chemo bekommst - seit diesem Tag habe ich immer wieder mit ungutem Gefühl im Bauch die Todesanzeigen in der Augsburger Allgemeinen durchgeschaut und war jedes Mal erleichtert, Deinen Namen nicht dort zu finden. Dennoch wuchs meine Angst und meine Beklemmung immer mehr, als Du Dich mittlerweile 2 Monate lang nicht gemeldet hast. Letzte Woche habe ich eine Postkarte an Dich fertig gemacht und wusste auf einmal Deine Adresse nicht mehr auswendig. Deine Adresse, die ich seit beinahe 3 Jahren weiß, die ich im Schlaf kenne, die ich immer wieder angefahren habe - sie fiel mir einfach nicht ein. Mein Handy verweigerte an diesem Tag jegliche Internetverbindung und da ich lange arbeiten musste, konnte ich nicht zu Hause nachschauen - sonst wäre die Karte in den Briefkasten gewandert. So liegt sie geschrieben und mit löcheriger Adresse in meinem Kalender...
Einen Tag später habe ich durch Deine Tochter die Nachricht Deines Todes erhalten. Bereits am Dienstag den 26.04.2016 bist Du gestorben. Wie ich von Diana erfahren habe, durftest Du zumindest ruhig einschlafen und musstest Dir diesen allerletzten Schritt nicht erkämpfen.

Ich bin froh, dass Du es letztes Jahr noch geschafft hast, nach Altötting zu fahren. Ich weiß, dass das einer Deiner Wünsche war. Ein Wunsch von der Liste der Dinge, die man noch tun will, bevor man stirbt. Wenigstens ein Wunsch, den Du Dir noch erfüllen konntest. Und gleichzeitig ist es eine Mahnung an uns alle, nichts auf die lange Bank zu schieben. Unser Leben im Jetzt und Hier zu leben, Träume wann immer möglich zu erfüllen. Den Rosenkranz, den Du mir von dort mitgebracht hast, habe ich immer im Auto dabei - damit er mich beschützt, wie Du es Dir gewünscht hast, als Du ihn mir geschenkt hast.

Weil Du Gabalier so gerne gemocht hast, verlinke ich hier Dein Lieblingslied von ihm.

Liebe Marion, danke für die Zeit mit Dir, für das Lachen und die Gespräche. Für jeden Kaffee, den wir miteinander getrunken haben. Für die seelische und moralische Unterstützung während unserer gemeinsamen Chemozeit, die für mich nach 6 Zyklen zu Ende war während Du immer noch weiter behandelt wurdest.
Ich hätte Dir noch viele Jahre mit Deiner Familie und Deinen Enkeln gegönnt. Eine große Geburtstagsparty, die Hochzeit Deiner Kinder - all das, was Du Dir erträumt und erhofft hast.
Ich hätte Dich gerne noch einmal besucht, hätte Dich in den Arm genommen. Du wolltest zum Schluss keinen Kontakt mehr, ich vermute, es hätte Dich zu viel Kraft gekostet. Mir tut es leid, dass wir uns nicht verabschieden konnten, aber die Dankbarkeit dafür, Dich gekannt zu haben, überwiegt.

Mach's gut.


Freitag, 15. April 2016

magic moments

In dieser Woche gab es einen Todesfall in meinem weiteren Familienkreis. Gestern war ich im Rosenkranz. Ich bin kein sehr katholischer Mensch. Ich gehe dort nicht hin, weil ich mich in der Kirche mehr mit Gott verbunden fühle. Das kann ich überall sein - muss es aber auch in der Kirche nicht.
Ich mag das Rosenkranz beten, weil es Zeit ist, die ich ganz für mich alleine habe. Wo meine Gedanken auf die Reise gehen können, weil ich nicht an 1000 Kleinigkeiten denken muss, die ich noch machen muss oder was ich noch schnell schauen muss oder was eines der Kinder braucht. Ich kann das zwar alles denken, aber für eine halbe Stunde kann und muss ich nichts machen. Die Gebete sind automatisiert, meine Gedanken können also frei schweifen. Ich komme dabei oft (nicht immer) ganz zu mir.
Gestern war es ziemlich bewölkt, als wir in die Kirche gingen. In unserem Dorf gibt es eine relativ große alte Klosterkirche mit einem Hauptschiff und zwei Seitenschiffen. Die Kirche hat zwar große Fenster, aber aufgrund der Bewölkung und weil es ja schon Abend war, herrschte ein bisschen dusteres Zwielicht. Und dann kam auf ein Mal die Sonne heraus und schien durch eines der Fenster über dem Seitenschiff genau auf ein großes Kreuz an der gegenüberliegenden Wand. Nur durch eines und genau auf das Kreuz. Dieses Kreuz hatte ich noch nie bewusst wahrgenommen und jetzt hing es da in einer Lichtinsel an der ansonsten dusteren Wand.
Dieser Moment war beinahe magisch und hat meine Seele berührt.
Nicht weil ich glaube, dass Gott mir etwas sagen wollte, nicht weil ich meine, dass das Licht wegen mir kam sondern einfach nur, weil es wunderschön war. Eben beinahe magisch.
Weil ich in diesem Moment trotz der Trauer um den Verstorbenen, trotz des Leidens mit den Angehörigen, trotz der Angst und der Wut und der Hilflosigkeit, die in Anbetracht des Todes in mir waren ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit empfand. Dankbarkeit dafür, dass ich am Leben sein darf. Dankbarkeit dafür, dass ich diese ganze Masse an Gefühlen spüren kann und darf und Dankbarkeit dafür, dass ich derartig wunderbare Dinge wie die Sonne, die durch Wolken scheint sehen und erleben darf.
Die Magie des Lebens liegt eben meistens in den kleinen Dingen und braucht kein großes Tamtam.
Genießt die kleinen Momente, denn sie machen das große Glück.



Mittwoch, 30. März 2016

von der Wertigkeit von Dingen

Heute geht's ums Thema: Was ist was wert? Und dabei denke ich noch gar nicht an solche Dinge wie das Leben oder die Freiheit, sondern ganz banal an Güter und Dienstleistungen.

Ich habe ja schon erzählt, dass ich ein Kleingewerbe habe, in dem ich Handarbeitssachen herstelle und fotografiere. Ich nähe, strickle und häkle (oder fotografiere eben) im Auftrag von anderen.  Ich mache das wirklich gerne, es bereitet mir (meistens) Freude und Genugtuung, etwas mit meinen Händen zu schaffen und kreativ zu sein.
Leider muss ich dabei mmer wieder feststellen, dass diese Arbeit von einigen nicht wertgeschätzt wird. Wenn ich für eine selbstgestrickte Mütze 18 Euro oder für eine genähte Jacke 40 Euro verlange ist das Interesse plötzlich nicht mehr so groß. Das selbe passiert, wenn ich für Fotos Geld verlange.
Das Argument ist dann oft: "Aber das ist doch selbstgemacht..." (man muss hier nicht sehr gut sehen, um das "nur" zwischen den Zeilen zu lesen).

Ich kann durchaus verstehen, dass viele gut auf ihr Geld aufpassen müssen. Allerdings kann ich nicht verstehen, dass man bereit ist, für seinen Marken-Pulli viel Geld hinzulegen (der oftmals in Bangladesch von netten kleinen Kindern produziert wird), man hier aber nicht bereit ist, für ein Einzelstück nach seinen eigenen Wünschen genauso viel zu investieren. Ich kann nicht begreifen, dass das dann "nur" selbstgemacht ist - und warum das weniger wert ist...

Nehmen wir das Beispiel einer Mütze:
  • Wenn ich eine Mütze mache, überlege ich mir, wie ich die Wünsche des Kunden am Besten umsetzen kann. Ich frage anfangs viel nach, um wirklich das zu machen, was der Kunde will. Soll die Mütze gestrickt, gehäkelt oder genäht werden, wie groß soll sie sein, welches Material wird bevorzugt, gibt es Musterwünsche, ...
  • Wenn ich mir in etwa vorstellen kann, was der Kunde will, dann fahre ich los und besorge das Material. Dazu muss ich im Optimalfall 8 km fahren, gerne aber auch 20 oder 25. 
  • Danach "produziere" ich die Mütze. Ich setze mich also hin und brauche im günstigsten Fall eine halbe Stunde, häufiger allerdings zwei bis 5 Stunden (oder bei aufwändigen Dingen noch länger) für die Mütze. Ein Kuscheltier zu häkeln oder stricken braucht übrigens wesentlich länger als eine Mütze, auch wenn es kleiner aussieht....
  • Dann muss ich noch aufräumen, ein Etikett schreiben (ich unterliege nämlich lustigerweise der Textilkennzeichnungspflicht), eine Rechnung schreiben, das Ganze verpacken und dann zur Post bringen (auch nochmal 3 km von hier).
Da ich ja nur ein Kleinunternehmer bin, gibt es für mich keine "Einkaufspreise". Ich brauche keinen ganzen Ballen Stoff, ich brauche normalerweise nur Kleinmengen, also keine Sonderpreise bei der Materialbeschaffung.
Da ich versuche, alles rechtlich korrekt zu machen, zahle ich brav meine Verpackungslizenz. Da ich außerdem unsere Umwelt ein bisschen schützen will, verwende ich gerne auch Verpackungen nochmal (die also schon jemand anderes lizenziert hatte) - aber egal.
Und dann kommt da ja auch noch das nette Finanzamt und die Herrschaften von der HWK - und die wollen auch nur mein Bestes...
Noch Fragen dazu, wie es zu dem Preis kommt, wenn ein Knäuel Wolle doch nur 1 Euro kostet (Wolle, die ich im Übrigen eher nicht verwende ;-) )

Nehmen wir das Fotografieren:
Es stimmt, ich habe den Beruf nicht erlernt. Ich mache es auch noch nicht seit 20 Jahren - deshalb stehe ich ja noch am Anfang und habe diesen Punkt erst jetzt mit in mein Repertoire aufgenommen. Nichtsdestotrotz habe ich Workshops besucht (und werde das auch weiterhin tun), ich habe Bücher gelesen und auf alle möglichen Weisen versucht, mich weiterzuentwickeln.
Auch wenn viele meinen, beim Fotografieren ginge es ja nur darum, ein bisschen zu knipsen.
Dröseln wir doch auch hier mal auf:

  • Ich bespreche vor, wann es günstig ist, was für Fotos gewünscht werden...
  • Ich mache mir Gedanken darüber, wo wir Fotos machen können - oft fahre ich auch vorher hin und schaue mir die "Location" genauer an, um Ideen zu entwickeln, was schöne Motive sein könnten.
  • Ich komme zum vereinbarten Ort und verbringe im Regelfall mindestens eine Stunde, oft auch zwei oder drei mit den Kunden, um möglichst entspannte Fotos zu machen (gerade wenn Kinder dabei sind, braucht man manchmal ein bisschen Zeit, bis alle warm werden und wir natürliche Fotos machen können).
  • Zum Fotografieren habe ich eine ordentliche Kamera und mehr als ein Objektiv, um die für die jeweiligen Gegebenheiten möglichst optimale Kombination verwenden zu können.
  • Wenn die Bilder im Kasten sind (ich also geknipst habe), fahre ich heim und lade die Bilder auf meinen PC.
  • Hier sichte ich die Bilder in einem (ordentlich erworbenen) Bildbearbeitungsprogramm, schmeiße alles, was verwackelt oder total unscharf ist raus, lösche Bilder, bei denen alle blöd schauen oder der Nachbar durchs Bild fährt.
    Besonders bei Tieraufnahmen (Pferde im Galopp oder Hunde in vollem Lauf) verwende ich gerne die Serienbildaufnahme. Wenn jemand Geld für Fotos von seinem Liebling ausgibt, will er auch, dass der auf den Fotos gut aussieht. Auch Pferde und Hunde zwinkern, manchmal schauen sie doof und nicht jede Laufphase ist gleich attraktiv auf Bildern. Hier muss man also die besten Bilder raussuchen. 
  • Die Bilder, die dann übrig bleiben werden genauer angeschaut und bearbeitet. Das ist die Arbeit, die früher in der Dunkelkammer geschah. Hier geht es darum, den Bildern genug Schärfe, Kontrast, Helligkeit, Farbe etc zu geben. Je besser das Ausgangsbild war, je mehr das bereits meinen eigenen Vorstellungen entspricht, desto weniger muss hier gemacht werden.
  • Danach stelle ich den Kunden die Fotos meist für eine Vorauswahl zur Verfügung. Es können noch Wünsche geäußert werden, ich versuche, diese zu erfüllen.
  • Falls vereinbart bestelle ich die Prints, ansonsten brenne ich die Daten auf CD.
  • Den Datenträger (und etwaige Prints) verpacke ich selbst in Handarbeit (siehe oben "nur selbstgemacht") und schicke oder bringe diese zu den Kunden.

Ganz schön viel Arbeit für "nur ein bisschen Knipsen", oder?`
Und: Ja, ich habe kein Studio. Ich will auch kein Studio. Nicht, weil ich mit einem Studio nicht umgehen könnte, sondern weil ich eine andere Art von Fotografie betreibe. Ich kann aber zu Euch kommen und falls ihr nicht in einem lichtdurchfluteten Loft wohnt kann ich so viel Licht mitbringen, dass wir trotzdem bei Euch schöne Bilder machen können. Wenn ihr Fotos von Eurem Baby haben wollt, kann ich Accessoires mitbringen, falls ihr Bilder vom Babybauch wollt, habe ich ein Kleid.....


Das Material kostet, die Technik kostet, die Aus- und Weiterbildung kostet, die Accessoires kosten, Energie, Verpackung, Hilfsmittel, Pc, Programme, Steuern, Lizenzen, Kammerbeiträge,  .... - alles kostet und Zeit ist ja bekanntlich auch Geld. Insgesamt steckt in all diesen Dienstleistungen einfach richtig viel Liebe, Zeit und 1000 Kleinigkeiten, die alle entweder Zeit oder Geld (oder beides) kosten und die man oft gar nicht wirklich wahrnimmt. 
Ihr bekommt dafür ein Produkt, dass auf Eure Wünsche zugeschnitten ist, dass Euch entspricht und das nicht jeder hat. Ihr bekommt individuelle Dinge oder Bilder. Wie viel das wert ist und ob man sich das leisten will bzw. kann entscheidet letztlich jeder für sich - aber es ist nicht weniger wert, weil es "nur" selbstgemacht ist.

Ach und P.S.: Wenn sich wirklich jemand den eigentlichen Preis nicht leisten KANN kann, man über alles reden. Dann gibt es Mini-Shootings mit weniger Zeit und weniger Bildern, Tipps, wie man sich etwas selber machen kann und ich habe tatsächlich auch schon gegen Naturalien gearbeitet. Aber nicht, weil jemand sagt "Das ist ja nur selbstgemacht"......









Samstag, 12. März 2016

Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht

Vorsicht, das wird ein Erziehungs-Aufrege-Post....
Aber ganz ehrlich: Der Wahnsinn treibt langsam seltsame Blüten, oder?
Ich verstehe ja, dass Eltern-sein nicht einfach ist.
Eltern wollen das Beste für ihre Kinder. Sie wollen optimale Startbedingungen schaffen, sie wollen es bestmöglich fördern und ihm jede Chance offen halten. Viele wollen vielleicht auch noch, dass das Kind es mal besser hat, als man selbst.
Soweit so gut. Das war wahrscheinlich auch in früheren Generationen so.
Aber gerade der Fördergedanke zeigt manchmal wirklich komische Auswüchse.
Da gibt es Englischunterricht für Kleinkinder - aber im Kindergarten legt man wert darauf, dass ja kein Dialekt gesprochen wird. Dabei ist Dialekt nachweislich gut für späteres Sprachenlernen.
Da werden Kinder vom Turnen zum Ballett zum Reitunterricht und zum Schwimmen chauffiert - aber auf dem Spielplatz fällt man fast in Ohnmacht, wenn das Kind versucht, auf ein Klettergerüst zu kommen. Bäume werden nach ihren dekorativen (und ungiftigen) Gesichtspunkten ausgewählt, nicht danach, ob sie bekletterbar sind, denn auf Bäume klettern ist verboten.


Statt zu Hause gemeinsam zu singen und Fingerspiele zu machen bringt man sein Kind in die musikalische Früherziehung.
Vom Kindergarten wird verlangt, dass Kinder dort gezielt Zahlen und Buchstaben lernen - aber beim Tischdecken für die Familie, was ja das Zahlenverständnis ganz nebenbei schulen würde, da darf kein Kind mithelfen.
Statt mit den Kurzen draußen durch Pfützen zu hüpfen oder Fußball zu spielen, bekommen sie einen Fernseher ins Zimmer und am Besten noch eine Konsole dazu. Um wirklich sicher zu stellen, dass ich als Elternteil nicht mehr in Kontakt gehen muss lasse ich das liebe Kleine auch noch im Zimmer essen...
Ich habe es auch schon erlebt, dass Eltern und Kind miteinander chatten, obwohl sie sich nur in zwei angrenzenden Zimmern befinden. Angeblich, um dadurch die Rechtschreibung zu verbessern...

Bitte versteht mich nicht falsch. Meine Kinder dürfen auch Fernsehen. Ich weiß auch, dass es Situationen gibt, wo man sie dort parkt, weil man einfach selbst keine Kraft mehr hat und Pause braucht. Das ist auch völlig in Ordnung, WENN es a) einem klar ist, dass man sie dort parkt weil man selbst sich nicht mit Ihnen beschäftigen kann oder will und b) klar ist, dass das eine überschaubare Ausnahme bleibt.
Ich finde es auch nicht schlimm, wenn Kinder spielerisch Englisch lernen.
Wobei  mir allerdings die Haare zu Berge stehen ist, wenn Kinder schon mehr Programm haben als ein Vollzeitberufstätiger. Wenn keine Zeit mehr zum Spielen bleibt, weil "Bildung" vorgeht. Und wenn die Verantwortung für das Erlernen bestimmter Fähigkeiten ausgelagert wird.Tatsache ist: Erziehung und Bildung ist der Job von uns Eltern, das kann und darf man nicht outsourcen. Natürlich gibt es Dinge, die mein Kind von mir nicht lernen kann. Den Umgang mit anderen Kindern zum Beispiel. Und dafür sind Einrichtungen wie Kindergarten und Schule auch wirklich Gold wert.
Aber das Elternhaus ist nichtsdestotrotz für die Vermittlung von Werten zuständig. Oder dafür, die Rahmenbedingungen zu schaffen, dass so ein junger Mensch die Welt entdecken und die notwendigen Fähigkeiten erlernen kann. Und die lernt ein gesundes Kind, indem man es im Alltag lernen lässt und nicht besser, indem es gezielte Lernkurse besucht.
Die Voraussetzung dafür ist allerdings, dass ich mit meinem Kind in Kontakt bin, dass ich in Beziehung bin. Dass ich nicht 5 Sachen nebenbei mache, nicht ständig am PC oder Handy hänge, sondern geistig DA bin. Dass ich mich als Elternteil positioniere, klar bin und die Verantwortung übernehme. Verantwortung für mein Kind, meine Entscheidungen, ... Und zwar auch dann, wenn es mal anstrengend ist. Egal, ob ein trotzdender 2jähriger einen bühnenreifen Rumpelstilzchenanfall hinlegt oder ein rotziger 13jähriger versucht, mich zu provozieren.
Mein Aufruf für heute ist also:

Stoppt das Auslagern von Verantwortung, gebt das Elternsein nicht aus der Hand, geht in Kontakt mit Euren Kindern - auch wenn es manchmal verdammt anstrengend ist. Es ist es wirklich wert!
Und lasst Eure Kinder raus, traut ihnen was zu. Was ist wohl mehr wert? Eine Jeans, die kaputt oder dreckig ist oder der Triumph, den Baum endlich bestiegen zu haben? Woran wachsen unsere Kinder? An sauberen Klamotten und der Fähigkeit, die Titelmelodie von 17 Fernsehsendungen zu erkennen?


Samstag, 5. März 2016

vom Leben und Sterben und allem, was dazwischen liegt

Ihr habt ja sicher schon mitbekommen, dass sich bei mir gerade einiges ändert. Ich mache meine Ausbildung zum Heilpraktiker für Psychotherapie, ich habe die ersten Schritte gemacht, um gewerblich zu fotografieren, ich werde meine Tätigkeit im Kindergarten aufgeben....

Letzte Woche ging es in meiner Ausbildung ums Thema "Suizid", ein paar Tage später habe ich einen Workshop von "Dein Sternenkind" besucht, auf dem Fotografen darauf vorbereitet werden, was alles auf sie zukommen kann, wenn sie ein Sternenkind fotografieren.
Kurz: Ich war gezwungen, mich mehrmals mit dem Thema "Tod" auseinanderzusetzen. Und ganz ehrlich: Es hat mir gut getan.

Das klingt irgendwie seltsam, wo doch in unserer Gesellschaft Tod und Sterben zu einem derartigen Tabuthema gemacht werden.
Für mich persönlich ist es kein Tabu. Klar denke ich lieber über andere Dinge nach und rede auch lieber über andere Sachen. Aber nichtsdestotrotz tut es ab und zu gut, darüber nachzudenken. Sowohl darüber, dass das Leben endlich ist, als auch darüber, wie man sich das eigene Ende denn vorstellt, was danach kommen könnte und wie die Beerdigung aussehen sollte. Darüber sollte man ruhig auch mal mit seiner Familie oder guten Freunden sprechen. Oftmals ist es nämlich für Hinterbliebene schön und sogar eine Erleichterung, wenn sie wissen, wie sich der Verstorbene die Beerdigung gewünscht hat.
Gibt es ein Lied, das gespielt werden soll? Lieblingsblumen? Eine spezielle Beerdigungsart? Worauf legt man Wert und was ist einem eher egal? Das alles sind Dinge, die man im Vorfeld durchaus mal besprechen sollte.

Ich weiß z. B. welches Lied mein Mann gerne bei seiner Beerdigung hätte. Ich hoffe, dass ich das noch lange nicht organisieren muss - aber wenn, dann weiß ich, dass ich ihm damit noch einen letzten Wunsch erfüllen kann. Und das finde ich eine schöne Vorstellung.

Natürlich kann ich gut verstehen, dass der Gedanke an den Tod vielen Menschen Angst macht. Je näher einem das persönliche Ende erscheint, desto größer mag die Angst sein. Während sie in jungen Jahren eher ein unangenehmes Kribbeln in der Magengegend verursacht, mag man mit höherem Lebensalter durchaus richtige Angst verspüren. Andere hingegen haben ihren inneren Frieden gefunden und sehen diesem letzten Schritt relativ gelassen entgegen. Ich kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen, wie es bei mir einmal sein wird. Prinzipiell lebe ich sehr gerne. Ich habe auch noch einiges vor und fände es sehr, sehr schade, jetzt zu sterben. Wie das in 50 Jahren aussieht, weiß ich jetzt ja nicht.
Zu meiner jetzigen Gelassenheit trägt auch meine Vorliebe für Terry Pratchett bei. Da ich ein Katzenliebhaber bin habe ich vor TOD wohl nicht allzuviel zu befürchten. Vielleicht sollte ich mir noch angewöhnen, einen Apfel für Binky einzustecken. (Für alle, die die Scheibenweltromane nicht kennen: Sehr empfehlenswert (vielleicht nicht unbedingt mit dem ersten anfangen, aber gerade "Gevatter Tod" oder "Alles Sense" sind sehr zu empfehlen).

Neben den ganzen Gedanken zum Thema "Tod und Sterben" hat die Auseinandersetzung mit diesem Thema mir noch etwas gebracht: tiefe Dankbarkeit. Dankbarkeit dafür, dass ich noch am Leben sein darf und es mir gut geht. Dafür, dass es meinen Kindern gut geht und sie gesund sind. Dankbarkeit dafür, dass ich mich wieder in dieser scheinbaren Sicherheit wiegen darf, dass mein Leben noch lange, lange andauern wird und ich eben nicht täglich ernsthaft mit dem Ende rechne. Das alles macht mich zutiefst dankbar.
Durch das Bewusstsein der Endlichkeit kommen die Dinge wieder ins richtige Lot, die Prioritäten verschieben sich ein bisschen. Der Blick wird beinahe automatisch wieder ein bisschen mehr auf das Wesentliche gezogen. Es ist, als würde mir jemand von Neuem die Augen öffnen und ich beginne wieder, zu sehen.  Und beim Wahrnehmen all der großartigen Kleinigkeiten im Leben und in der Natur macht sich Demut breit. Aber keineswegs im Sinne von "alles Furchtbare klaglos ertragen" sondern im Sinne von "sich nicht mehr so furchtbar wichtig nehmen", nicht mehr alles können und haben zu müssen, nicht mehr im nur im Fokus zu stehen, sondern einen Schritt zur Seite machen zu dürfen und sich die Erlaubnis zu geben, einfach mal zu sein wie man ist. Wunderbar.





Dienstag, 5. Januar 2016

Welcome 2016

So, Jahreswechsel rum und alles ist beim Alten. Gut, das ist jetzt keine große Überraschung, aber es gehört trotzdem mal erwähnt.
Ich hatte ja ein ganz kleines Fünkchen Hoffnung, dass sich was ändert. Vielleicht ein wenig mehr Toleranz. Oder ein Quäntchen mehr Nachdenken. Oder eine Prise mehr Kritik gegenüber den Medien.  Aber war wohl nichts. Alles beim Alten.
Kaum sind die ganzen Neujahrsglückwunschs- und AltesJahresrückblicksposts und - sendungen und -artikel vorbei, schon geht's wieder mit den alten Leiern los. Z. B. mit der "Flüchtlinge sind Sozialschmarotzer und kommen nur, weil sie hier so wahnsinnig viel Geld bekommen" - Leier. Oder mit der "Wir sind hier alle arme Schweine und nagen am Existenzminimum und die bekommen alles in den Arsch geschoben"-Leier. Oder mit der "Wir werden alle dem islamistischen Terror zum Opfer fallen, wenn wir hier weiterhin Muslime ins Land lassen"-Leier.
Ich bin ja eigentlich ein zutiefst unpolitischer Mensch. Sei es aus Ignoranz, aus Desinteresse, aus Unwissenheit oder aus Faulheit. Völlig egal. Tatsächlich interessiert mich Politik relativ wenig. Das ist zugegebenermaßen nicht unbedingt gesellschaftsformend. Auch nicht dazu angetan, etwas zu verändern. Wenn ich ehrlich bin, möchte ich auch gar nicht allzu viel verändern. Mein eigenes kleines Universum finde ich ganz ok, mit der grundsätzlichen Gesetzeslage in Deutschland kann ich mich ganz gut abfinden und die Sachen, die ich gerne ändern würde, werden sich nicht ändern, egal, wie sehr ich mich politisch engagiere (ich persönlich finde ja z. B ., dass unsere ganzen großen Politiker einfach viel zu viel verdienen). Ich glaube auch nicht, dass sich an der Staatspolitik etwas ändern wird, egal, welche Partei wirklich "an der Macht" ist. Dazu sind sich unsere großen Parteien viel zu ähnlich. Ich bin also raus aus der großen Politik-Nummer.
Was nicht heißt, dass ich in meinem eigenen kleinen Dunstkreis keine eigene Meinung oder Haltung habe. Damit ecke ich gerne mal an - aber das ist mir relativ egal.
So, und für alle, die es interessiert (oder auch nicht), hier kommt meine eigene kleine und persönliche Meinung zu diesen wunderbaren Leiern. Einmal geballt, vielleicht muss ich mich dann den Rest des Jahres nicht mehr dazu äußern.

Ja, es mag sein, dass bei den vielen, vielen Flüchtlingen auch Sozialschmarotzer, Kriminelle und schlechte Menschen dabei sind. Ich wohne in einer 3000-Seelen-Gemeinde und selbst da gibt es Sozialschmarotzer, Kriminelle und schlechte Menschen. Das liegt in der Natur der Menschen. Die Wahrscheinlichkeit ist also relativ hoch, auch unter mehreren hunderttausend Menschen solche dabei zu haben. Aber nur weil mein Nachbar/ein Bekannter oder wer auch immer ein Depp ist heißt das ja nicht, dass ich das auch bin. Nur, weil es kriminelle Deutsche gibt bin ich ja auch nicht kriminell - obwohl ich auch Deutsche bin. Ich halte nichts von Sippenhaft. Und ich würde mich nicht für deutsche Sozialleistungen auf eine ungewisse Reise, die für viele tödlich endet, machen. Ich finde es toll, dass wir Sozialleistungen haben - aber so hoch sind sie dann auch nicht.

Ja, ich glaube auch, dass sich durch die Aufnahme vieler Menschen aus einer anderen Kultur etwas in Deutschland verändern wird. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass es nicht immer leicht sein wird, mit den Veränderungen Schritt zu halten. Ich glaube allerdings nicht, dass das furchtbar ist. Im Gegenteil. Ich persönlich finde Stillstand weitaus schlimmer als Veränderung. Gegenseitiges voneinander Lernen wäre vielleicht ein guter Weg...
Ich fürchte auch, dass die Stammtischparolen der "ich bin ja kein Nazi ABER"-Fraktion irgendwann harte Realität werden. Wenn ich mir vorstelle, dass hier junge Menschen ankommen, die in Deutschland die Möglichkeit bekommen, ihr Potential zu nutzen, die Ehrgeiz entwickeln und gute Leistungen in der Schule zeigen und diese engagierten jungen Menschen dann auf dem Arbeitsmarkt in Konkurrenz zu einigen unser deutschlandeigenen Null-Bock-Schule-ist-Scheiße-Jugendlichen treten - dann kann es gut sein, dass ein Mensch mit Migrationshintergrund einem Deutschen die Arbeit wegnimmt. Vielleicht auch die Freundin.... Ob man dann allerdings den Flüchtlingen oder der deutschen Flüchtlingspolitik die Schuld dafür geben kann, dass man selbst arbeitslos und ohne Freundin da steht - ich weiß ja nicht....

Ja, wahrscheinlich gibt es auch in Deutschland Terroristen. Vielleicht auch islamistische. Ich wage zu bezweifeln, dass die mit Flüchtlingstrecks ankommen und sich den Entbehrungen einer Erstaufnahmestelle aussetzen. Ich glaube, die kommen über "legale" Wege oder werden hier geboren. Meine persönliche Meinung ist ja, dass das Risiko größer ist, dass jemand zum "Terroristen" wird, wenn er hier mit Missachtung, Ausgrenzung und Beleidigung zu kämpfen hat, als wenn er eine faire Chance bekommt. Und zwar gänzlich ungeachtet seiner Staatsangehörigkeit. Es ist doch viel einfacher, jemanden dazu zu bekommen, das zu tun, was man will, wenn man ihn aus dem Kreis der ungeliebten, ausgegrenzten und gemiedenen Menschen in eine "Gemeinschaft" holt und ihm Macht gibt. Im Falle von Terrororganisationen sogar die Macht über Leben und Tod. Wer "Das Experiment" kennt, weiß, was Macht aus Menschen macht. Statt ausländische Mitbürger ängstlich und kritisch zu beäugen und unter Generalverdacht zu stellen sollten wir ihnen eine faire Chance geben. Natürlich muss man nicht jeden mögen - aber man sollte es nicht von der Herkunft abhängig machen, wenn man mag und wen nicht. Und: selbst wenn derjenige ein Terrorist ist (und die Chance ist ja tatsächlich sehr, sehr gering) wird er eher Skrupel haben, uns zu töten, wenn er uns mag.....

Ja, es mag ungerecht anmuten, dass Menschen, die noch nichts in unser Sozialsystem eingezahlt haben, Geld daraus enthalten. Darüber beschweren sich aber bitte nur die Menschen, die tatsächlich mehr eingezahlt als abgeschöpft haben. Und die, die noch nie Sozialleistungen in Anspruch genommen haben, die ihnen streng genommen nicht zugestanden hätten. Und die, die noch nie das Recht gebeugt haben um einen eigenen Vorteil zu haben. Das schränkt den Kreis der Maulenden immens ein....
Und wer trotzdem über Steuerverschwendung schimpfen will, könnte ja auch mal im Schwarzbuch des Bundes der Steuerzahler nachschauen - da findet sich schon was, über das man mit Recht schimpfen kann....

 So, viele Worte, die einfach schon mal zu Beginn des Jahres rausmussten. Vielleicht bleibt ihr dann den Rest des Jahres davon verschont.
Ich wünsche Euch allen ein wunderbares Jahr 2016. Voller Entwicklung und Veränderung und Lernen und Spaß und Überraschung und Leben.

Mittwoch, 23. Dezember 2015

aus dem Weg - philosophische 5 Minuten

Schnell, lasst mich an den Rechner, ich hab meine philosophischen 5 Minuten.....
Kennt ihr das auch, dass ihr irgendwem voller Freude über irgendeine Idee erzählt und derjenige (meist ohne böse Absicht) diese Freude mit nur wenigen Worten völlig zunichte machen kann? 
Da erzähle ich z. B., dass ich mir überlege, irgendwann tatsächlich Fotografieren zu einem meiner beruflichen Standbeine zu machen und bekomme als Antwort: "Da verdient man doch nichts und außerdem gibts da so viele..." Whom - volle Klatsche, einmal Breitseite bitte.
Eine Freundin von mir zieht jetzt dann um und hat im Bekanntenkreis erzählt, dass sie sich eine Küche kaufen müsse, nur um zu hören: "Lass Dir die Küche planen und auf keinen Fall selbst aufbauen, das kannst Du nie - das stellst Du Dir nur so leicht vor..." - Aua, genau auf die Zwölf. 
Und statt zu sagen: "Ich kann messen, ich weiß, wo die Anschlüsse sind und wie lange die Wände sind, ich kann Schränke aufbauen - ich sehe kein Problem beim Aufbau einer Küche und falls es nicht klappt, kann ich mir ja Hilfe holen" oder "Es gibt auch viele Sozialarbeiter, Kindergärtner oder Polizisten und trotzdem finden die meisten von ihnen was zu tun und falls es nicht klappt, ist es auch nicht so schlimm"... - statt das zu sagen oder wenigstens zu denken, fangen wir an zu überlegen, ob da nicht vielleicht was dran ist. Ob nicht doch alle anderen recht haben (also die 2 - 10 mit denen wir überhaupt gesprochen haben und die dann in unserem Kopf zu ALLEN anderen mutieren) mit ihrer Vorhersage des Scheiterns.
Da stellen sich mir spontan zwei Fragen:
1. )Warum legen wir so viel Wert auf die Meinung der anderen und so wenig auf unser eigenes Urteil? Weshalb vertrauen wir viel mehr darauf, dass uns jemand sagt, dass wir etwas nicht machen sollen, als auf unser Bauchgefühl, das "machs einfach" sagt? Weil wir insgeheim Angst haben zu scheitern? Weil wir uns nicht der Blamage preisgeben wollen, dass wir danach sagen müssen: "Du hattest Recht, ich habe es nicht geschafft"?  Dabei ist es doch streng genommen gar nicht so schlimm, Dinge nicht zu können und trotzdem zu versuchen. Wenn wir das nicht täten, würden wir nie laufen lernen. Oder sprechen. Oder mit Besteck essen. Oder Auto fahren (und ich kenne einige, die das jeden Tag machen, obwohl sie es meiner Meinung nach nicht besonders gut können...) 
Leider haben den Bonus des "Nicht-Können-Dürfens" nur kleine Kinder. Ansonsten ist "Nicht-Können" in unserer Gesellschaft verpönt. Wer etwas nicht kann und dazu auch noch steht oder zulässt, dass es sich das Unvermögen zeigt, der setzt sich Gespött und Gerede aus. Was mich direkt zur zweiten Frage bringt:
Warum sind wir so schnell dabei, andere klein zu machen? Macht uns das größer? Oder fühlen wir uns nur kompetenter und besser, wenn wir das Gefühl haben, dass es unter uns noch jemanden gibt? Jemanden, der irgendetwas schlechter kann als wir?
Bsp. Fotografieren (falls ich Euch damit nerve: tut mir leid (nein, tut es gar nicht) - aber da müsst ihr durch....): Ich weiß, dass ich da noch ne Menge lernen kann. Ich glaube andererseits, dass ich da auch schon viel gelernt habe. Und ich weiß, dass es Menschen gibt, denen meine Art von Bildern gefällt. Ich weiß auch, dass ich noch nicht so weit bin - aber ich entscheide, wann ich so weit bin, dass ich es mich traue. Und kein anderer, der mir erklären will, dass das nicht geht oder ich das nicht kann oder noch viel lernen muss oder es so viele andere gibt. Ich allein. Das Schöne beim Fotografieren ist ja, dass es immer Geschmackssache ist, wem Bilder gefallen. Ich sehe immer wieder Bilder im Netz von "professionellen" Fotografen (also Leuten, die damit ihren Lebensunterhalt verdienen), bei denen ich mir denke: Das hätte ich besser gekonnt. Oder: Das und das und das hätte ich anders gemacht - und trotzdem gibt es Leute, die ihnen Geld dafür zahlen, dass sie die Bilder genau so machen, wie sie sie machen. Jeder muss sich das suchen, was ihm gefällt. Beim Fotografieren und im Leben.
Aber macht es mich besser, wenn ich meine Meinung zu einem Bild groß und breit trete? Wenn ich alles kommentiere und nichts einfach stehen lassen kann? Nein, macht es nicht. Außerdem kann man auch Kritik so verpacken, dass sie sich nicht anfühlt, als würde man einen Schlag ins Gesicht bekommen. Und manchmal muss man vielleicht auch einfach gar nichts sagen.
Schlussendlich sagen Kritik und Sätze, die einen niedermachen meist mehr über die Menschen aus, die sie sagen, als über die, zu denen sie gesagt werden. Das sollte man immer im Hinterkopf behalten.

Jedem, der immer noch Angst hat, etwas nicht zu schaffen und sich davon abhalten lässt, es überhaupt zu versuchen, möchte ich die Worte Thomas A. Edisons mit auf den Weg geben:
"Ich habe nicht versagt. Ich habe 10000 Wege gefunden, die nicht funktionierten."


Freitag, 18. Dezember 2015

Rückblick - mal wieder

Wenn überall die ganzen Jahresrückblicke laufen, wenn Facebook einem die "Highlights" des letzten Jahres nochmal zeigt (als ob Facebook wüsste, was ein Highlight meines Jahres war und als ob ich Facebook dafür bräuchte, mich daran zu erinnern...), wenn "Der kleine Lord" und "3 Haselnüsse für Aschenbrödel" rauf und runter laufen, wenn Wham aus dem täglichen Radioprogramm nicht mehr wegzudenken ist und die Werbeblöcke länger und voller Spielzeug werden - dann steht Weihnachten vor der Türe.
Was genau der ganze Zirkus mit "besinnlich" und mich "stader Zeit" zu tun hat, erschließt sich mir nicht so ganz, ist aber ja egal. Ich höre im Auto entweder Bayern2 oder CD und umgehe somit den Weihnachtsliederwahnsinn, Fernsehen schau ich so gut wie nie, Facebookrückblicke interessieren mich eher wenig und durch das Fernseher-Auslassen hält sich auch die Werbung in Grenzen. Somit schaffe ich es ganz gut, mir die Zeit so zu machen, wie es mir gefällt.
Mir gefällt es, wieder näher zusammenzurücken. Sich jeden Tag ein bisschen "Quality-Familien-Zeit" zu gönnen (wie das so neudeutsch halt heißt). Wir haben heute z. B. einen Spieleabend gemacht und ne Stunde lang alle um den Tisch gesessen und Kinderspiele gespielt.
Wir zünden beim Essen die Kerzen am Adventskranz an und lesen (fast) jeden Tag eine Geschichte aus dem Adventskalender.
Wir besuchen jede Woche einen anderen Christkindlmarkt und versuchen dabei hauptsächlich kleinere und schöne zu Besuchen und/oder uns die Zeit zu nehmen, besondere Dinge zu entdecken. Dieses Jahr bekommt unsere Krippe zum Beispiel einen Teich mit ein paar Schwänen...
So mag ich die Zeit - und ich freu mich auf Weihnachten.

Trotzdem darf natürlich auch hier der obligatorische Rückblick aufs letzte Jahr nicht fehlen, auch wenn er mir schwer fällt.

Ich habe viele Dinge erlebt, das meiste davon schön und bereichernd. Manches ging mir auf die Nerven, aus vielem habe ich gelernt. Mehr kann man sich eigentlich nicht wünschen. Ich habe einige erinnernswerte Erlebnisse ins Fotoalbum in meinem Kopf geklebt.
Manche zum Schmunzeln, wie der Esel, der am Maar in der Eifel unbedingt unsere Brotzeit haben wollte.
Manche, die mich stolz machen, wie z. B. die Tatsache, dass mein Sohn tapfer die drei Wettkämpfe geturnt hat oder der reibungslose Schuleintritt meiner Tochter.
Manche, die mich traurig machen, wie der Tod und die Beerdigung meiner Oma und viele, die mich glücklich machen, wie gemeinsame Treffen mit Freunden, neue Freundschaften, die sich gebildet haben, meine Familie und mein Mann, der auch nach 10 Jahren noch an meiner Seite (oder hinter mir) steht (je nachdem, wo ich ihn eben gerade brauche).
Ich habe viel gelernt, egal, ob es Fähigkeiten und Fertigkeiten sind, die ich weiterentwickelt habe (wie das Fotografieren) oder Dinge über mich und andere. Mir sind ein paar Dinge bewusster geworden, ich weiß wieder ein bisschen mehr, was ich möchte und was nicht, kurz: Es war ein Jahr voller Leben.
Ich hoffe, ihr alle könnt ebenfalls auf dieses Jahr zurückschauen und sagen: Bei allem, was es gebracht hat, bei allen Höhen und Tiefen waren schöne Momente dabei und konnte ich Dinge für mich lernen und mitnehmen.
Das ist es, worauf es meiner Meinung nach ankommt. Nicht darum, dass immer alles strahlend hell und wunderbar ist. Das macht nicht glücklich. Sondern darauf, dass man zumindest im Blick in den Rückspiegel noch ein paar Dinge findet, die gut waren.
Ich glaube nicht, dass alles irgendwann Sinn macht. Es gibt genügend Scheiß in jedem Leben, den tatsächlich auch im Nachhinein kein Mensch braucht. Es gibt Kriege und Gewalt und sinnlose Grausamkeit und Härte im Leben. Mir kann auch keiner erklären, welchen Sinn es im Nachhinein macht, wenn Kinder irgendwo auf der Welt verhungern. Aber ich glaube, dass es glücklich macht, wenn man zumindest im Rückblick schafft, etwas Gutes in schweren Zeiten zu finden.

In diesem Sinne wünsche ich Euch für dieses Jahr wunderbare Weihnachtstage, so wie Ihr sie Euch wünscht. Egal ob fröhlich, friedlich oder festlich, mit vielen Menschen oder alleine, mit großem Gala-Diner oder Bockwürstchen. Einfach ein paar Tage nach Eurem Geschmack und für das nächste Jahr wünsche ich Euch massenhaft Erinnerungen für Euer Fotoalbum.

Sonntag, 13. Dezember 2015

(Vorweihnachts.) Stress

Ich bin genervt.
Sind ja gerade viele. Die meisten wegen Weihnachten und Plätzchen backen und 793 Geschenke kaufen und die verpacken und überhaupt.
Ich gar nicht deswegen. Ich backe dieses Jahr keine Plätzchen (oder nur eine Sorte) - das überlass ich denen, die es gerne machen und Spaß daran haben. Wenn ich nächstes Jahr wieder Spaß dran habe, backe ich nächstes Jahr wieder. Wenn nicht, dann nicht.
Geschenke habe ich jetzt (glaube ich) alle - und verpacken läuft am 23. im Rundumschlag.
Nein, ich bin überhaupt und prinzipiell genervt.
Weil ich das Gefühl habe, keine Zeit mehr für mich zu haben, weil alles zu viel ist, weil meine Kinder (wie sich das für Kinder halt gehört) nicht hören und nicht aufräumen und sich manchmal streiten, weil Menschen in meiner Umgebung nicht so tun und denken, wie ich das für Richtig empfinden würde, weil andere mich spüren lassen, dass ich nicht so handel und denke, wie sie das für Richtig emfpinden würden,weil meine Handgelenke nach einem dreiviertel Jahr immer noch weh tun und die Sehnenscheidenentzündung einfach nicht abklingen will, weil Gitarre spielen, stricken und häkeln mit extremen Schmerzen verbunden sind, weil es draußen Wetter hat und mein Kind um halb neun noch immer nicht schlafend im Bett liegt.
Es gibt tausende Gründe, warum ich genervt bin - und leider lass ich es manchmal an Menschen aus, die nichts dafür können. Dann schreie ich und tobe oder ich ziehe mich zurück.
Egal  für welche Art ich mich entscheide, ich fühle mich nur selten gut dabei.
Wenn ich meine Kinder anschreie, habe ich das Gefühl, die schlechteste Mutter auf der ganzen Welt zu sein, weil ich sie anschreie und gleichzeitig werde ich so wütend, weil sie mich in der kindereigenen Art dazu bringen zu schreien und ich es nicht anders schaffe, sie zu irgendetwas zu bringen, dass ich noch mehr schreie.
Wenn ich mich von Leuten zurückziehe, die ich nicht verstehe oder über die ich mich geärgert habe, dann denke ich mir, ich sollte ihnen eigentlich sagen, was los ist - und gleichzeitig habe ich keine Lust, ständig meinen Standpunkt klar zu stellen und zu verteidigen. Ich will einfach gerade nicht. Und dabei komme ich mir sozial völlig inkompatibel und inkompetent vor. Eigentlich würde ich gerne Winterschlaf machen. Im November langsam den sozialen Rückzug antreten und erst im März wieder auf der Bildfläche erscheinen. Zwischendrinnen nur Kontakt zu Menschen haben, die ich gerne mag und die mich gerne mögen...Aber das ist leider in meinem Leben so nicht vorgesehen.

Insgesamt ist das Genervt-sein aber kein Zustand, der auf Dauer gut ist. Weder für mich noch für die Menschen in meinem Umfeld. Es muss sich also etwas ändern. Wohlgemerkt, ich erwarte nicht, nie mehr genervt zu sein. Das wäre nicht ich (so weit kann ich auf meinem Weg zum Zen gar nicht fortschreiten). Aber weniger und dann so, dass ich es noch im Griff habe.
Ein Punkt, der sich ändern wird, ist, dass ich spätestens Ende Juli meinen Zweitjob im Kindergarten aufhören werde. Er nimmt mir einfach zu viel Zeit, die ich auch mal für mich selbst brauche. Und die anfangs so positive Tatsache, dass es 12 klar planbare Stunden sind nimmt mir insgesamt leider die Flexibilität für meine andere - sehr flexible - Tätigkeit. Das führt dazu, dass meine Arbeitstage zum Teil 12 und 13 Stunden ohne Pause dauern und ich nur noch von Termin zu Termin hetze. Dafür, dass ich "eigentlich" nur in Teilzeit arbeite ist mir das einfach zu heftig.
Also suche ich mir eine andere Tätigkeit mit weniger Stundenumfang (und evtl. höherem Stundenlohn), die ich besser mit meiner flexiblen Ersttätigkeit kombinieren kann.
Ein weiterer Punkt, der sich ändern wird ist, dass ich wieder mehr auf mich schauen werde. Mich mehr mit Freunden treffen, einfach mal auf nen Kaffee oder zum Ratsche -. was zur Zeit einfach rein zeitlich gar nicht möglich ist.
Auf meine Agenda kommt außerdem (ab Frühjahr) wieder mehr spazieren gehen. Momentan ist es mir um fünf oder sechs einfach zu dunkel - aber wenn es wieder heller wird, muss das unbedingt sein. Vielleicht schrumpft dann auch das übermäßige Fettpolster etwas.
Außerdem will ich unbedingt wieder mehr fotografieren. Wahrscheinlich schenke ich dieses Jahr einfach allen Leuten Fotogutscheine, dann ergibt sich das von selbst.... Fotografieren ist nämlich tatsächlich entspannend - weil man da rauskommt und sich wirklich auf etwas konzentrieren muss - sonst werden es geknipste Fotos aber keine Bilder...

Als ersten Schritt werde ich jetzt erst Mal zwischen dem 24.12 und dem 8.1. nur einen einzigen Tag arbeiten. Und den nur kurz. Auf diese Auszeit freue ich mich wahnsinnig, weil ich sie brauche. So viel Zeit mit meinen Lieben verbringen, dass ich mir ab und zu Auszeiten alleine nehmen kann, ohne dass ich ein schlechtes Gewissen habe, weil ich eh so viel nicht da bin und mir daher eine Stunde (oder mehr) alleine kaum zugestehe.

Mein Wunsch für 2016 ist daher ganz einfach: Zeit. Für mich, für andere, für meine Familie, für Ruhe, für Entspannung, für Aufregung und Überraschung, für Neues und Altes, für Leben.

Ich habe in meinem Facebook-Adventskalender heute ein Gedicht von Elli Micheler gepostet, das wunderbar dazu passt und mit dem ich diesen Post für heute beenden möchte:

Ich wünsche Dir Zeit
Ich wünsche dir nicht alle möglichen Gaben.
Ich wünsche dir nur, was die meisten nicht haben:
Ich wünsche dir Zeit, dich zu freun und zu lachen,
und wenn du sie nützt, kannst du etwas draus machen.
Ich wünsche dir Zeit für dein Tun und dein Denken,
nicht nur für dich selbst, sondern auch zum Verschenken.
Ich wünsche dir Zeit – nicht zum Hasten und Rennen,
sondern die Zeit zum Zufriedenseinkönnen.
Ich wünsche dir Zeit – nicht nur so zum Vertreiben.
Ich wünsche, sie möge dir übrig bleiben
als Zeit für das Staunen und Zeit für Vertraun,
anstatt nach der Zeit auf der Uhr nur zu schaun.
Ich wünsche dir Zeit, nach den Sternen zu greifen,
und Zeit, um zu wachsen, das heißt, um zu reifen.
Ich wünsche dir Zeit, neu zu hoffen, zu lieben.
Es hat keinen Sinn, diese Zeit zu verschieben.
Ich wünsche dir Zeit, zu dir selber zu finden,
jeden Tag, jede Stunde als Glück zu empfinden.
Ich wünsche dir Zeit, auch um Schuld zu vergeben.
Ich wünsche dir: Zeit zu haben zum Leben!
(Elli Micheler)